Vom Indiepop-Duo positron gibt es eine neue Single „Black & White„. Die Videopremiere war Anfang November 2025, obwohl es eigentlich kein Video gibt. Der Titel ist in der Normalfassung sieben Minuten lang. Zwei untypische Merkmale in der Welt der Musik. Daher haben wir positron einige Fragen gestellt.
Frage: Die lange Pause: Zwölf Jahre sind eine Ewigkeit im Musikgeschäft. Was waren die größten Herausforderungen und die wichtigsten Lektionen, die Sie als Duo in dieser Zeit abseits der Scheinwerfer gelernt haben?
Antwort: Es gibt neben der Musik noch andere Aufgaben und Bereiche die bedient werden wollen. Wir hatten 2012 ein gutes Jahr weil wir gute Songs aufgenommen haben. Danach gab es einige Veränderungen die für die nächsten Schritte hinderlich waren und es brauchte dafür neue Ansätze. Das betraf z.B. unser Studio und die Proberäume. In einem komplexen Gefüge reicht es manchmal, wenn eine sekundäre Komponente verändert wird und dann kommt alles ins Stocken.
Frage: Der Neustart: Warum fiel die Entscheidung, nach so vielen Jahren mit einer 7-minütigen Single zurückzukehren, anstatt mit einem radiofreundlichen 3-Minuten-Format? War das ein bewusstes Statement gegen die kurzlebige Aufmerksamkeitsökonomie?
Antwort: Ja. Das ist bewusst so gemacht aus verschiedenen Gründen. Einer wurde mit der Frage beantwortet. Ein weiterer Grund war die Tatsache, das wir mehrere Versionen haben und diese Version insgesamt die Beste ist. Wenn man noch die Ära der Compact Disc Singles kennt, kennt man auch die Maxiversionen und Extended Mixes, die damals üblich waren. In dieser Zeit neigte man auch immer dazu lieber die Maxiversionen zu hören, statt der kurzen Versionen im Radio. Das hatte damit zu tun dass die Songs eine Dramaturgie hatten. Man konnte auch mal zwei Minuten einen gut gespielten Drumbeat hören ohne das es langweilig wurde. Die Musik heute ist oftmals noch laut und schrill, überkomprimiert und ohne akustische und musikalische Dynamik.
Frage: „Black & White“ als Konzept: Der Titel suggeriert extreme Kontraste. Welche spezifischen Themen oder dualistischen Spannungen (z.B. analog vs. digital, Hoffnung vs. Zynismus) wollten Sie in diesem Song musikalisch erforschen?
Antwort:Schwarz und weiss ist eine klassische Betrachtungsweise, die eine Sache auf ja und nein, 1 und 0 reduziert. Dieser Ansatz erfüllt eine wichtige Funktion wenn man den Kern einer Sache verstehen will. „Die Dinge schwarz weiß sehen“ wird gern abwertend genutzt, ist aber in der Logik genau das richtige Mittel um eine komplexe Sache zu verstehen. Das ist in vielen Bereich wichtig um weiter zu kommen, Beziehungen, Beruf, Gesellschaft. Selbst in der Fotografie haben schwarz weiß Fotos eine höhere Schärfe. Im Songtext geht es um die Wechselwirkung in einer Beziehung, die scheinbar aussichtslos geworden ist und eine sich wiederholende Aktion-Reaktion Schleife bildet mit einem klaren Effekt.
Frage: Die klangliche Evolution: Wie hat sich der Sound von positron in den letzten zwölf Jahren entwickelt? Welche neuen musikalischen oder produktionstechnischen Elemente sind in „Black & White“ eingeflossen, die Ihre älteren Werke noch nicht enthielten?
Antwort: Die Basis von „Black and White“ ist aus dem Jahr 2009. Damals klang die Demoversion etwas anders. wir haben aber keine speziellen Sound an dem man uns festmachen könnte. Es geht immer darum, was der Song braucht und was er transportiert. Die jetzt veröffentlichte Version wurde komplett neu gemischt und es kamen einige neue Elemente dazu. Was wir übernommen haben, sind die perkussiven Elemente des Hauptthemas, die mit einem Kawai K5000S erzeugt wurden. Es wurden auch zusätzliche luftige Flächensounds und Chöre eingespielt um die schwebende Atmosphäre des Songs zu verstärken.
Frage: Das minimalistische Video: Das Video zeigt ausschließlich Schwarz-Weiß-Verläufe ohne narrative Handlung. Was soll diese bewusste visuelle Reduktion beim Zuschauer bewirken? Steht sie im Gegensatz zur potenziellen Komplexität des 7-minütigen Songs?
Antwort: In den letzten Jahren sind Musikvideos, wie die Musik selbst, immer schriller geworden. Das hat etwas mit Aufmerksamkeit und Marketing zu tun und der steigenden Konkurrenz im Mainstream. Das ist aber ein endliches Konzept, man kann das nicht endlos steigern. In den 90ern waren viele Musikvideos mit diesen kurzen Schnitten von 1,7 Sekunden. „Damit es nicht langweilig wird“. Die Videos haben immer ein Bild zum Song vorgegeben. Unser Gehirn arbeitet auch stark visuell. Das nutzt man um einen emotionalen Effekt zu erzielen. Auf der anderen Seite gab es One-Shot Videos, also ohne Schnitte. Der Ansatz bei „Black & White“ das vorgegebene Bild wegzulassen. Somit ensteht Raum für eigene Bilder. Egal ob dem Hörer der Text oder der Sounds gefällt, die Bilder dazu soll jeder selber erzeugen. Wir wissen doch nicht was jeden einzelnen Hörer gerade beschäftigt.
Frage: Künstlerische Freiheit vs. Marktdruck: Nach einer so langen Pause: Spüren Sie heute einen stärkeren Druck, sich an Algorithmen oder Hörerwartungen anzupassen, oder haben Sie durch die Pause eine neue Freiheit für kompromisslose Kunst gewonnen?
Antwort: Es geht in erster Linie um das künstlerische Ergebnis. Wir machen ja keine funktionale Musik und bedienen auch keine musikalische Schublade. Natürlich haben sich die Dinge stark verändert. Und wir haben seit unserer Gründung 2005 diese dynamische Entwicklung des Internet komplett miterlebt. Heute muss man die Mechanik dieser Prozesse wirklich in Frage stellen, weil es aus künstlerischer Sicht völlig verrückt geworden ist. Musiker sind mehr mit Social Media beschäftigt als mit Musik. Als Musiker bin ich doch nicht dafür zuständig den Pausenclown für gelangweilte Internetnutzer zu spielen, indem man ständig neuen Content erzeugt, der mit meiner Musik nichts zu tun hat. Früher gab es mehrere Plattformen um neue Musik zu zeigen, die auch alle einen unterschiedlichen Ansatz hatten. Die Musik war dann dort verfügbar und gut. Heute konzentriert sich vieles auf eine einzige Streamingplattform, aber um dort Hörer zu generieren, muss der Musiker auf mehreren Social Media Plattformen kurzweiligen Content erzeugen um auf die Playlist zu verweisen. Und dann auch noch jeden Content in seinem eigenen Format (hoch, quer, quatratisch). Das ist für viele Musiker nicht zu bewältigen. Es liegt nicht an der Musik sondern an den Strukturen.
Frage: Der Entstehungsprozess: Wie lief das Songwriting für „Black & White“ ab? War es ein spontaner kreativer Ausbruch, oder ist der Song das Ergebnis jahrelanger Tüftelei und Entwicklung?
Antwort: Beides. Am Anfang war dieses markante perkussive Thema was man endlos wiederholen kann. Daraus entstand eine Demoversion mit elektronischen Klängen. Es wirkt ja irgendwie etwas monoton aber wird auch nicht wirklich langweilig. Es schwebt sozusagen. Beim Songtext ist es dann oftmals so, dass man keine passende Idee hat. Das merkt man gerade dann, wenn das Instrumental schon eine Stimmung vorgibt. Wir hatten uns dann diesen Titel noch einmal angehört und dann kam nach kurzer Zeit der Text so wie er jetzt zu hören ist. Es gibt ja im Grunde keine Strophe und keinen Refrain, nur musikalisch. Für das sehr lange Lied ist es ein sehr kurzer Text. Ein weiterer Kontrast. Scheinbar ist hier unbewusst alles perfekt zusammen gefügt worden. Die finale Version hat dann aber doch einige Zeit in Anspruch genommen. Das war aber Prozess in den Details. Es gibt auch noch eine Ur-Version und eine weitere kurze Version. Hier ist noch nicht klar, ob wir die später auch noch veröffentlichen.
Frage: Bezug zur früheren Arbeit: Gibt es eine Brücke oder einen thematischen Faden, der „Black & White“ mit Ihrer Musik aus der Zeit vor zwölf Jahren verbindet, oder sehen Sie diesen Song als den Beginn einer völlig neuen Ära für positron?
Antwort: Da der Song oder besser gesagt, die Idee zum Song, bis nach 2009 zurück geht, ist das wohl als thematischer Faden zu sehen. Es geht nicht um einen neuen Sound oder eine neue Ära. Da unser Sound generell sehr vielseitig ist, nutzt sich das auch nicht so schnell ab. Natürlich bleiben Veränderungen nicht aus, weil man immer wieder neue Eindrücke hat, neue Methoden probiert, neue Dinge lernt und sich auch bei der Studiotechnik immer wieder etwas ändert.
Frage: Die Live-Performance: Wie planen Sie, ein so langes, atmosphärisches Stück wie „Black & White“ live umzusetzen? Wird das minimalistische, abstrakte Video-Konzept auch auf der Bühne eine Rolle spielen?
Antwort: Gute Frage. Dafür gibt es noch keine konkreten Konzepte. Wenn man aber konsequent bleibt, müsste man es wirklich minimalistisch und abstrakt umsetzen. Und genau das braucht es auch immer wieder, wenn sich die Dinge in ihrer schrillen Art übertreffen wollen. Da hilft nur ein Reset und oftmals stellen die Menschen dann fest, das es auch schön ist.
Frage: Die Zukunft: Ist „Black & White“ der Vorbote eines kommenden Albums oder einer EP? Und falls ja, können die Fans erwarten, dass das gesamte neue Material diesen Fokus auf epische Länge und künstlerischen Kontrast beibehalten wird?
Antwort: Es ist ein Vorbote für ein Album. Der genaue Termin steht noch nicht fest, da wir an vielen Versionen arbeiten und die Auswahl noch nicht getroffen ist. Das Album steht für 20 Jahre, daher gab es die erste Veröffentlichung in diesem Jahr. Das Album wird weitere neue Songs enthalten und ältere Songs die nie veröffentlicht wurden, sondern nur live gespielt. Und es wird neue Versionen geben von älteren Songs, die vielleicht die Fans überraschen werden. Sicher wird es vor dem Album noch eine weitere Single geben.
