In der Theorie ist Musik eine harmonische Kunst. In der Rechtspraxis ist ein Song jedoch oft ein Schlachtfeld. Sobald ein Werk nicht mehr von einer Person im stillen Kämmerlein erschaffen wird, sondern in einem modernen „Writing Camp“ oder durch eine Band im Proberaum entsteht, stellt sich die existenzielle Frage: Wer hat die Schöpfungshöhe erreicht – und wer hat nur seinen Job gemacht?

1. Die Miturheberschaft: Das Prinzip der untrennbaren Einheit

Nach deutschem Urheberrecht (§ 8 UrhG) liegt eine Miturheberschaft vor, wenn mehrere Personen ein Werk gemeinsam erschaffen haben und ihre Anteile sich nicht gesondert verwerten lassen. Ein Song ist das klassische Beispiel: Der Text allein ist ein Gedicht, die Melodie allein ein Instrumental – erst zusammen bilden sie das geschützte „Musikwerk“.

  • Der Kern der Streitigkeit: Wer darf sich Miturheber nennen? Das Gesetz verlangt einen „schöpferischen Beitrag“. Das bedeutet, der Beitrag muss eine gewisse Originalität und Individualität aufweisen.

2. Die Rollenverteilung und ihre Tücken

Der Beat-Produzent (Das Grundgerüst)

Früher war der Komponist derjenige, der die Melodie am Klavier schrieb. Heute ist der Produzent, der das rhythmische und harmonische Grundgerüst (den Beat) baut, oft der primäre Urheber. In der Hip-Hop- und Pop-Welt wird der Beat oft als eigenständiges Werk betrachtet, an dem der Sänger dann „anteilig“ partizipiert.

Der Texter vs. der „Ein-Strophen-Gast“

Wenn eine Person den gesamten Text schreibt, ist der Fall klar. Doch was ist mit dem Gast-Rapper, der nur 16 Takte beisteuert? Juristisch gesehen ist er Miturheber des Gesamttextes (oder Urheber eines abtrennbaren Teils). Ohne klare Einigung vorab entstehen hier oft „Splits“, die den Gast-Beitrag überproportional bewerten, nur weil der Name des Gastes wertvoll für das Marketing ist.

Das „Gitarren-Riff“-Problem

Hier riecht man den Streit meist zuerst. Ein Gitarrist spielt im Studio ein eingängiges Riff. Er argumentiert: „Dieses Riff ist das Gesicht des Songs! Ohne das Riff erkennt ihn keiner.“

  • Die rechtliche Realität: Handelt es sich um eine bloße Leistungsschutzhandlung (Interpretation) oder um eine Komposition? Wenn das Riff nur eine Variation der vorgegebenen Akkorde ist, bleibt der Gitarrist meist „nur“ Musiker (Leistungsschutzberechtigter). Ist das Riff jedoch so eigenständig und prägend für die Melodieführung, dass es die Schöpfungshöhe erreicht, kann er Miturheber werden.

3. Die „Schöpfungshöhe“ als Zankapfel

Ein kurzer Einwurf, eine Änderung eines Wortes im Refrain oder das Hinzufügen einer kleinen Ad-Lib-Spur reicht in der Regel nicht für eine Urheberschaft aus. Das Gesetz unterscheidet zwischen der bloßen Unterstützung (Gehilfenschaft) und der schöpferischen Mitgestaltung. Dennoch fordern Studiomusiker heute immer häufiger Anteile an den Tantiemen (GEMA-Punkte), statt sich mit einer einmaligen Studiogage (Session-Fee) zufrieden zu geben.

4. Das Risiko der „Blockade“

Ein gefährlicher Aspekt der Miturheberschaft ist die notwendige Einstimmigkeit. Wenn vier Leute an einem Song beteiligt sind und einer davon (vielleicht derjenige, der nur zwei Zeilen Text schrieb) der Verwertung nicht zustimmt, kann er theoretisch die Veröffentlichung des gesamten Songs blockieren.

  • Die Lösung der Praxis: Miturheber sind verpflichtet, der Verwertung zuzustimmen, wenn dies „nach Treu und Glauben“ verlangt werden kann (§ 8 Abs. 2 UrhG). Dennoch führt dies oft zu teuren gerichtlichen Auseinandersetzungen.

5. Die Lösung: Das „Split-Sheet“

Um den „Geruch des Streits“ zu neutralisieren, nutzt die moderne Industrie sogenannte Split-Sheets. Das ist ein einfaches Dokument, das noch im Studio von allen Beteiligten unterschrieben wird.

  • Es legt fest: Wer bekommt wie viel Prozent an der Komposition und am Text?
  • Es verhindert, dass Monate später – wenn der Song ein Hit wird – plötzlich Beteiligte auftauchen, die ihre Rolle im Nachhinein aufwerten wollen.

Ein Song ist juristisch gesehen eine Zwangsgemeinschaft. Je mehr Köche am Brei rühren, desto unschärfer wird die Grenze zwischen Handwerk und Kunst. Während der Bassist, der „nur“ den Grundton spielt, leer ausgeht, kann der Produzent, der einen markanten Sound-Effekt einbaut, zum millionenschweren Miturheber werden. In einer Welt, in der die GEMA-Einnahmen oft die einzige verlässliche Einkommensquelle für Kreative sind, ist die Klärung der Splits vor dem „Export“ der Audiodatei die wichtigste geschäftliche Handlung überhaupt.

Hier ist eine Vorlage für ein Split-Sheet, die du direkt kopieren und als Textdatei (z.B. in deinen Notizen oder als PDF) speichern kannst. Es ist so formatiert, dass es alle kritischen Punkte abdeckt, die wir in den Artikeln besprochen haben, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden.


SONGWRITING SPLIT SHEET (VORLAGE)

DATUM: [Datum der Session]

STUDIO / ORT: [Name des Ortes]

1. SONG-INFORMATIONEN

ARBEITSTITEL: [Name des Songs]

GENRE: [z.B. Pop / Hip-Hop / Rock]

ISRC-CODE (falls bekannt): [Nummer]


2. URHEBERRECHTS-ANTEILE (SPLITS)

Die unterzeichnenden Personen bestätigen hiermit, dass sie die alleinigen Urheber der unten aufgeführten Anteile sind und dass die Verteilung der GEMA-Punkte (oder vergleichbarer Verwertungsgesellschaften) wie folgt festgelegt wird:

Name des UrhebersRolle (z.B. Beat, Melodie, Text)Anteil Komposition (%)Anteil Text (%)Gesamtanteil (%)Verwertungsgesellschaft (GEMA/AKM/SUISA etc.)IP-Basisnummer (falls bekannt)
1.
2.
3.
4.
GESAMT100 %100 %100 %

3. MASTERRECHTE / LEISTUNGSSCHUTZRECHTE

Wer ist Inhaber der Masterrechte (der tatsächlichen Aufnahme)?

[ ] Der/die oben genannten Urheber zu gleichen Teilen.

[ ] Produzent / Label: [Name einfügen]

[ ] Sonstige Vereinbarung: [Details]


4. ZUSÄTZLICHE VEREINBARUNGEN

  1. Bemusterung / Sync: Alle Beteiligten stimmen zu, dass der Song für Bemusterungszwecke genutzt werden darf. Kommerzielle Nutzungen (Werbung, Film) bedürfen einer gesonderten Zustimmung (Synchronisationsrecht).
  2. Namensnennung: Die Urheber haben Anspruch auf Nennung ihres Namens in den Metadaten (Spotify „Credits“ etc.) sowie auf physischen Tonträgern.
  3. Samples: Wurden fremde Samples (Melodien/Beats) verwendet?[ ] NEIN.[ ] JA (Name des Samples: ____________________). Derjenige, der das Sample eingebracht hat, haftet für das Clearing.

5. UNTERSCHRIFTEN

Mit ihrer Unterschrift bestätigen die Beteiligten die Richtigkeit der oben genannten Angaben.

Urheber 1: __________________________ Datum: __________

Urheber 2: __________________________ Datum: __________

Urheber 3: __________________________ Datum: __________

Urheber 4: __________________________ Datum: __________


Anwendungshinweis für dich:

  • Komposition vs. Text: Die GEMA teilt oft standardmäßig 50/50 zwischen Komponist und Texter auf. Wenn du also den Beat und die Melodie gemacht hast (Komposition) und jemand anderes den Text, solltet ihr das in den Spalten klar trennen.
  • Der Gitarrist: Wenn der Gitarrist ein Riff spielt und ihr euch einigt, dass er 5 % bekommt, tragt ihn unter „Komposition“ ein. Damit ist er rechtlich „safe“ und die Diskussion ist beendet.
  • Handy-Foto: Ein Pro-Tipp aus der Praxis: Füllt diesen Zettel am Ende der Session aus, lasst alle unterschreiben und macht sofort ein Foto mit dem Handy, das ihr in die gemeinsame Gruppe schickt. Das ist im Ernstfall vor Gericht bereits ein sehr starkes Beweismittel.