Es ist ein Grabenkampf, der so alt ist wie der Synthesizer selbst: Auf der einen Seite stehen die Verfechter der Rockmusik, die auf das „Handgemachte“, auf Schweiß, Holz und Draht schwören. Auf der anderen Seite finden wir die Liebhaber der elektronischen Musik, für die Klang nicht bei der Saite aufhört, sondern beim Oszillator erst beginnt. Doch hinter den gegenseitigen Vorwürfen – „Das ist keine echte Musik“ gegen „Das ist nur monotoner Lärm“ – verbirgt sich eine tiefe psychologische Kluft in der Wahrnehmung von Klangästhetik und Emotion.
Die handwerkliche Hürde: „Knöpfchendreher“ vs. „Saitenhexer“
Der klassische Vorwurf aus dem Rock-Lager ist oft technischer Natur: Elektronik sei keine Musik, weil der Computer die Arbeit übernehme. Hier wird musikalische Qualität mit physischer Anstrengung und manueller Geschicklichkeit gleichgesetzt. Für den Rocker ist die E-Gitarre ein heiliges Instrument, dessen Beherrschung Jahre dauert. Dass modernes Sounddesign und die Programmierung komplexer Synthesizer-Patches eine völlig andere, aber ebenso anspruchsvolle kognitive Leistung darstellen, wird dabei oft übersehen.
Wenn Rockmusik als Lärm wahrgenommen wird
Umgekehrt nehmen Fans elektronischer Klänge Rockmusik oft als eindimensionalen Lärm wahr. Aus der Sicht der Elektronik ist der klangliche Spielraum einer klassischen Bandbesetzung (Drums, Bass, Gitarre) begrenzt. Die Verzerrung, die im Rock für Energie und Ausdruck steht, wird hier als akustische Verschmutzung interpretiert. Während elektronische Musik mit dem gesamten Frequenzspektrum spielt und chirurgisch präzise Soundscapes entwirft, wirkt das „Haareschütteln“ zu verzerrten Riffs oft wie ein immer gleiches, lautes Spektakel ohne ästhetische Finesse.
Die Psychologie dahinter: Aggressionsbewältigung vs. Harmoniestreben
Interessant wird es bei der Frage, was die Musik im Gehörlosen auslöst. Rockmusik fungiert psychologisch oft als Ventil. Die Verzerrung und die physische Gewalt des Schlagzeugs spiegeln innere Spannungen wider. Es ist ein Prozess der Aggressionsbewältigung: Man nutzt die externe Aggression des Sounds, um die eigene Wut oder Frustration zu kanalisieren, zu betäuben oder in einer kathartischen Entladung (wie dem Pogo oder Headbangen) abzubauen.
Im Gegensatz dazu sucht die anspruchsvolle elektronische Musik (abseits des harten Technos) oft nach einer tieferen ästhetischen Harmonie. Hier geht es um die Architektur des Klangs, um mathematische Schönheit und die Erforschung von Texturen. Während Rockmusik das Ego und den körperlichen Ausbruch betont, lädt elektronische Musik zur Selbstauflösung in einem perfekt konstruierten Raum aus Schwingungen ein. Es ist die Suche nach einer modernen Ästhetik, die nicht auf Zerstörung (Distortion), sondern auf Konstruktion und Innovation basiert.
Fazit: Zwei Wege, dieselbe Suche
Letztlich suchen beide Lager nach Transzendenz – der eine durch den Schrei, der andere durch die Schwingung. Doch solange die eine Seite in der Verzerrung nur „Krach“ sieht und die andere im Synthesizer nur „Kälte“, wird dieser kulturelle Graben bestehen bleiben. Dabei liegt die Zukunft vielleicht genau dazwischen: In der Verbindung aus organischer Energie und elektronischer Unendlichkeit.
