Wer einmal die Vorzüge des Re-Ampings entdeckt hat, kommt schnell an den Punkt, an dem ein einzelnes Mikrofon vor dem Lautsprecher nicht mehr ausreicht. In der professionellen Produktion ist es ein offenes Geheimnis, dass der „große“ Sound selten aus nur einer Quelle stammt. Vielmehr ist er das Ergebnis einer geschickten Schichtung verschiedener Perspektiven. Wenn wir mehrere Mikrofone kombinieren, nutzen wir die physikalischen Eigenschaften des Raumes und der Technik, um eine „Wall of Sound“ zu bauen, die sowohl Intimität als auch epische Weite besitzt.
Der klassische Ansatz beginnt mit der Aufteilung der Aufgaben. Das erste Mikrofon, meist ein robustes dynamisches Modell wie das legendäre Shure SM57, wird direkt vor der Membran des Lautsprechers platziert – wir nennen das „Close Miking“. Dieses Mikrofon ist für den „Punch“, die Details und die harten Fakten zuständig. Es fängt das Reiben der Raucherstimme oder den direkten Anschlag der Gitarre ein, ohne viel vom Raum preiszugeben. Es ist das Fundament, auf dem wir alles Weitere aufbauen. Doch so direkt dieses Signal auch ist, es wirkt oft zweidimensional.
Hier kommt das zweite Mikrofon ins Spiel, idealerweise ein Großmembran-Kondensatormikrofon oder ein Bändchenmikrofon. Dieses platzieren wir in einer Entfernung von etwa ein bis zwei Metern. Während das erste Mikrofon die „Nase am Geschehen“ hat, fängt dieses zweite Mikrofon den Körper des Klangs und die ersten Reflexionen des Bodens ein. In der Mischung sorgt diese Kombination dafür, dass die Stimme oder die Gitarre nicht nur direkt vor uns steht, sondern auch ein gewisses Gewicht und eine natürliche Dreidimensionalität bekommt. Es ist der Unterschied zwischen einem flachen Foto und einer Skulptur, die man umwandern kann.
Für den ultimativen „Wall of Sound“-Effekt fügen wir oft noch eine dritte Ebene hinzu: das Raummikrofon. Dieses wird weit entfernt in einer Ecke des Zimmers oder sogar in einem angrenzenden Flur aufgestellt. Dieses Signal ist für sich allein genommen oft sehr indirekt und hallig, aber wenn man es leise zum direkten Sound dazumischt, passiert etwas Magisches. Der Klang öffnet sich, die „Sirene“ bekommt ihren majestätischen Glanz, und der gesamte Mix beginnt zu atmen. Es ist, als würde man die Wände des Studios nach außen schieben.
Die größte Herausforderung bei dieser Methode ist – wie wir bereits gelernt haben – die Phase. Je mehr Mikrofone wir im Raum verteilen, desto unterschiedlicher sind die Zeiten, zu denen der Schall die Kapseln erreicht. Ein bewährter Trick ist hier die „3-zu-1-Regel“: Das zweite Mikrofon sollte mindestens dreimal so weit vom ersten Mikrofon entfernt sein wie das erste vom Lautsprecher. Das minimiert unerwünschte Auslöschungen. Dennoch bleibt das manuelle Ausrichten der Wellenformen in der DAW, wie wir es im letzten Artikel besprochen haben, der wichtigste Schritt, um sicherzustellen, dass die verschiedenen Signale sich gegenseitig verstärken, statt sich zu bekämpfen.
Am Ende ist die Kombination von Mikrofonen beim Re-Amping wie das Mischen von Farben auf einer Palette. Das dynamische Mikrofon liefert das Schwarz-Weiß-Gerüst, das Kondensatormikrofon bringt die Farben, und das Raummikrofon sorgt für die Belichtung und die Atmosphäre. Wenn man diese Ebenen mit Bedacht übereinanderlegt und zeitlich perfekt abstimmt, entsteht ein Klangbild, das so groß und eindrucksvoll ist, dass es den Hörer förmlich einhüllt. Es ist die Kunst, aus einer einzigen Spur eine ganze Welt zu erschaffen.
