Bevor es Schallplatten oder Streaming gab, war Musik eine flüchtige Kunstform, die nur im Moment der Aufführung existierte. Der Übergang der Musik von einer rein höfischen oder kirchlichen Dienstleistung zu einem marktwirtschaftlichen Gut begann mit der Erfindung des Notendrucks und der Entstehung der ersten Musikverlage. Diese Institutionen waren weit mehr als Druckereien – sie waren die ersten Talent-Manager, Marketing-Agenturen und Urheberrechts-Pioniere der Geschichte.
1. Das Kerngeschäft: Vom Kupferstich zum Massenmarkt
Das frühe Kerngeschäft der Musikverlage im 16. und 17. Jahrhundert (wie bei Ottaviano Petrucci in Venedig) war zunächst ein technologisches Wagnis. Notensatz war extrem teuer und kompliziert. Erst im 18. Jahrhundert, mit dem Aufstieg von Verlagen wie Breitkopf & Härtel (Leipzig, gegr. 1719) oder Artaria (Wien, gegr. 1770), wurde daraus ein echtes Geschäftsmodell.
- Der Notenstich: Jede Seite musste von hochspezialisierten Handwerkern in Kupferplatten gestochen werden. Ein Fehler bedeutete den Verlust der gesamten Platte. Die Verlage investierten massiv in diese Hardware.
- Das Produkt: Verkauft wurde nicht die „Aufführung“, sondern die Anleitung zur Aufführung. Die Zielgruppe war das aufstrebende Bürgertum, das Klavier spielte und in den heimischen Salons die neuesten Werke nachspielen wollte.
2. Die Vermarktung: Das Prinzip der „Subscription“
Da die Produktionskosten immens waren, erfanden die Verlage das Prinzip des Crowdfundings, lange bevor das Wort existierte: die Subskription.
- Vorab-Verkauf: Bevor ein Werk gedruckt wurde, suchte der Verlag Abonnenten. In Zeitungen wurden Anzeigen geschaltet: „Wer jetzt bezahlt, erhält das Werk nach Fertigstellung billiger und wird namentlich in der Partitur als Förderer genannt.“ Dies minimierte das finanzielle Risiko des Verlegers.
- Der Starkult: Verlage wie Artaria verstanden früh, dass sich Namen besser verkaufen als Musik. Sie machten Haydn und später Beethoven zu Marken. Ein Werk „aus der Feder des gefeierten Meisters“ garantierte Absatzzahlen.
3. Distribution und Netzwerke
Wie kam die Note zum Kunden? Die großen Verlage pflegten ein europaweites Netz von Agenten und Buchhändlern.
- Messen: Die Leipziger Buchmesse war der zentrale Umschlagplatz. Hier wurden Lizenzen getauscht und Neuerscheinungen präsentiert.
- Transkriptionen: Das eigentliche Geld wurde nicht mit der großen Partitur einer Sinfonie verdient (die kauften nur wenige Orchesterleiter). Der Profit lag in der Zweitverwertung. Die Verlage beauftragten Arrangeure, Sinfonien oder Opern für Klavier zu zwei oder vier Händen umzuschreiben. Das war das „Streaming“ des 18. Jahrhunderts – die einzige Möglichkeit, ein Orchesterwerk zu Hause zu hören.
4. Der Kampf ums Urheberrecht: Piraterie im 18. Jahrhundert
Ein großes Problem der frühen Verlage war der Raubdruck. Sobald ein Werk von Haydn in Wien erschien, wurde es oft in London oder Paris illegal nachgestochen, ohne dass der Komponist oder der Originalverlag einen Cent sahen.
- Privilegien: Verlage mussten beim Kaiser oder beim Landesherrn „Privilegien“ (Schutzrechte) beantragen, die den Nachdruck innerhalb eines Territoriums verboten.
- Gleichzeitige Veröffentlichung: Um Piraterie zuvorzukommen, versuchten Verlage, Werke zeitgleich in mehreren Ländern über Partnerverlage zu veröffentlichen – eine logistische Meisterleistung in Zeiten von Postkutschen.
5. Das Verhältnis zwischen Komponist und Verleger
Das Verhältnis war oft von tiefem Misstrauen geprägt. Beethoven etwa war berüchtigt dafür, ein und dasselbe Werk an mehrere Verlage gleichzeitig zu verkaufen oder Nachbesserungen beim Honorar zu fordern. Die Verleger wiederum versuchten, die Komponisten durch Exklusivverträge zu binden.
Der Verleger war damals der Gatekeeper: Ohne ihn blieb ein Komponist lokal begrenzt. Mit ihm wurde er zu einem europäischen Phänomen. Der Verlag übernahm das finanzielle Risiko, das Marketing und den Vertrieb, während der Komponist „Content“ lieferte – eine Struktur, die das Musikbusiness bis heute prägt.
Die frühen Musikverlage verwandelten Musik von einem flüchtigen Ereignis in eine handelbare Ware. Sie schufen die Infrastruktur für das, was wir heute als Musikindustrie kennen: Branding, Urheberrechtsschutz, Multi-Channel-Marketing (Partitur vs. Klavierauszug) und globales Networking. Ohne die unternehmerische Weitsicht der Verleger des 18. Jahrhunderts wäre der Aufstieg der Wiener Klassik in dieser Breite niemals möglich gewesen.
