Wenn wir heute über Startups und Skalierung sprechen, denken wir an Software. Doch das erste wirklich skalierbare digitale Gut der Geschichte waren Noten. Sobald die Kupferplatte einmal gestochen war, verursachte jede weitere Kopie nur noch minimale Papier- und Druckkosten, während der Verkaufspreis hoch blieb. Die Musikverleger des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts waren die Tech-Bros ihrer Zeit: Sie saßen auf einer Goldmine aus vervielfältigbarem Content und nutzten die mangelnde Rechtssicherheit schamlos aus.

Mittendrin: Ludwig van Beethoven, der erste Musiker, der begriff, dass er nicht nur Komponist, sondern eine Marke war – und der sich mit einer Aggressivität gegen seine „Manager“ wehrte, die heute noch legendär ist.

Das Geschäftsmodell der Verleger: Maximale Rendite, minimales Recht

Verleger wie Artaria in Wien oder Schlesinger in Berlin arbeiteten nach einem Prinzip, das wir heute von Streaming-Plattformen oder Major-Labels kennen. Ihr Ziel war es, den Komponisten mit einer einmaligen Einmalzahlung (Flat Fee) abzuspeisen, um dann lebenslang an den Kopien zu verdienen.

Sie waren gierig, weil sie wussten: Ein „neuer Beethoven“ war ein Selbstläufer. Die Verleger fungierten als Aggregatoren. Sie kontrollierten die Distribution (die Postkutschenwege nach London, Paris und Leipzig) und die „Plattform“ (den Notensatz). Wer nicht gedruckt wurde, existierte international nicht. Diese Machtposition nutzten sie aus, um Verträge zu diktieren, die oft an Knebelverträge grenzten.

Beethoven: Der Meister der Multi-Lizensierung

Beethoven war jedoch kein leichtes Opfer. Er durchschaute das System und begann, die Verleger gegeneinander auszuspielen. Sein berühmtester „Schachzug“ betraf die Missa Solemnis.

Er bot dieses monumentale Werk gleichzeitig sieben verschiedenen Verlagen an und nahm von mehreren Anzahlungen entgegen. Sein Argument war so modern wie zynisch: Da es kein internationales Urheberrecht gab, betrachtete er jedes Land als eigenen Markt. Er verkaufte die Rechte für England an den einen, für Frankreich an den nächsten und für Deutschland an einen dritten.

In seinen Briefen bezeichnete er Verleger oft als „Höllenhunde“, „Räuber“ oder „Erzgauner“. Er wusste genau, dass sie an seinem Genie reich wurden, während er das volle unternehmerische Risiko seiner Gesundheit und Produktion trug.

Der Raubdruck als „Wachstumsbeschleuniger“

Die Verleger wiederum beschwerten sich über Beethovens „Gier“. Doch ihre eigene Praxis war kaum sauberer. Sobald ein Verleger die Rechte an einem Beethoven-Werk hielt, schlachtete er es aus:

  • Es wurden sofort Bearbeitungen angefertigt (Flöten-Duos, Streichquartett-Arrangements), für die der Komponist oft keine Zusatzvergütung sah.
  • Sie tolerierten oder förderten teils sogar Raubdrucke in Gebieten, in denen sie keine Rechte hielten, um die Marke Beethoven zu stärken und den Absatz der eigenen (autorisierten) Werke in anderen Regionen zu fördern.

Fazit: Das Startup-Modell der Klassik

Die Musikverlage waren die ersten, die begriffen, dass man mit geistigem Eigentum unendlich skalieren kann. Sie bauten Netzwerke auf, die funktionierten wie heutige Server-Strukturen: Der Inhalt (die Musik) war der Treibstoff, die Notenblätter die Hardware.

Beethoven war der erste „Independent Artist“, der versuchte, die Kontrolle zurückzugewinnen. Sein ständiger Streit um Honorare war kein Zeichen von Geiz, sondern der verzweifelte Versuch eines Künstlers, einen fairen Anteil an einem Geschäftsmodell zu erhalten, das bereits damals darauf ausgelegt war, den Schöpfer klein und den Verwalter groß zu machen.

Es war der Beginn eines Konflikts, der heute – 200 Jahre später – in der Debatte zwischen Musikern und Streaming-Diensten seine exakte Fortsetzung findet. Die Akteure haben gewechselt, die Gier nach dem skalierbaren Content ist geblieben.