1. Die Einkommens-Garantie
- Die Sekretärin: Sie erhält ein festes Gehalt. Unabhängig davon, ob die Signings des Labels floppen oder Hits landen, wird ihr Lohn am Ende des Monats überwiesen. Sie hat Urlaubsanspruch, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Sozialversicherung.
- Der Musiker: Er lebt vom Vorschuss. Dieser ist jedoch kein Gehalt, sondern ein verzinstes (durch Gebühren) Darlehen. Während die Sekretärin bei Null startet und ins Plus geht, startet der Musiker bei Minus 50.000 €. Er verdient erst dann den ersten „echten“ Euro, wenn er seine Schulden eingespielt hat. Da er vom Label nur ca. 15–20 % der Einnahmen erhält, muss er faktisch das Fünf- bis Sechsfache seines Vorschusses erwirtschaften, bevor er finanziell auf dem Niveau der Sekretärin ankommt.
2. Die Arbeitszeit und der „Lifestyle“
- Die Sekretärin: Hat eine 40-Stunden-Woche. Nach Feierabend ist die Arbeit vorbei. Sie besitzt ihre Freizeit.
- Der Musiker: Ist oft durch 360-Grad-Deals rund um die Uhr an das Label gebunden. Sein Privatleben, sein Social-Media-Auftritt und seine öffentliche Identität gehören zur Verwertungsmasse. Er arbeitet ständig, reist viel und trägt die Kosten für seinen Lifestyle (Kleidung, Reisen, Repräsentation) oft selbst oder lässt sie sich vom Label als „abrechenbare Kosten“ vorschießen, was seinen Schuldenberg weiter vergrößert.
3. Das Insolvenzrisiko
- Die Sekretärin: Wenn das Label pleitegeht, sucht sie sich einen Job in einer anderen Branche. Ihre Arbeitskraft ist universell.
- Der Musiker: Wenn das Label ihn fallen lässt (Dropped), bleibt er oft auf dem Schuldenberg sitzen. Schlimmer noch: Das Label behält die Rechte an seinen Songs (Masterrechte). Er kann seine Hits nicht einfach mit zu einem neuen Partner nehmen. Er ist „verbrannt“ und rechtlich blockiert.
4. Wer besitzt die Assets?
- Die Sekretärin: Baut sich über ihre Rente und Ersparnisse ein Vermögen auf.
- Der Musiker: Erzeugt ein Asset (den Hit im Radio). Aber dieses Asset gehört ihm nicht. Die Sekretärin tippt den Vertrag, der festlegt, dass das Label den Hit besitzt. Im Grunde verwaltet sie den Reichtum, den der Musiker generiert, während der Musiker im Radio läuft und sich vielleicht gerade kein Bahnticket leisten kann.
Ein reales Rechenbeispiel
Ein Song generiert 1 Million Streams (ca. 4.000 € Einnahmen).
- Das Label behält 80 % (3.200 €). Davon werden die Gehälter der Mitarbeiter (auch der Sekretärin) bezahlt.
- Der Musiker bekommt 20 % (800 €).
- Aber: Diese 800 € werden nicht ausgezahlt, sondern zur Tilgung des 50.000 € Vorschusses genutzt.
- Ergebnis: Die Sekretärin hat ihr Monatsgehalt sicher. Der Musiker hat 1 Million Menschen erreicht, ist aber immer noch mit 49.200 € verschuldet.
Die Sekretärin ist Teil der Infrastruktur des Gewinns, während der geknebelte Musiker oft nur der Rohstoff ist. Rohstoff wird verbraucht, Infrastruktur bleibt bestehen. Das ist die harte Realität, die hinter den glitzernden TikTok-Videos und Radio-Hits steht.
